Sie war in Kiew, als im Februar 2014 die Krim-Krise ausbrach. Die Journalistin und Alumna der Politikwissenschaft Jutta Sommerbauer schildert Momentaufnahmen im Ukraine-Drama aus Sicht der Reporterin.
Am Kiewer Flughafen reichte ein Blick, um festzustellen, dass nicht nur ich die zündende Idee gehabt hatte: Der Wartesaal war voller JournalistInnen, die meisten von ihnen waren bepackt mit großen Fernsehkameras. Es war Ende Februar. Das Flugzeug flog auf die Krim. Die ersten Meldungen von den „grünen Männchen“, russischen Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, machten die Runde. Auch wenn sich nach der Ankunft in Simferopol die Kolleginnen und (mehrheitlich) Kollegen in die Nacht verflüchtigten (meist in ausgewiesene „Journalistenhotels“), sah man sich tags darauf an den Schauplätzen wieder. Denn im Krisengebiet ist man selten allein.
Der Konflikt. Ein ganzer Pulk von ReporterInnen verfolgt die Krise, denn sie ist flüchtig, jeden Tag an einem anderen Ort: Auf der Krim waren das die besetzten Regierungsgebäude, die belagerten ukrainischen Militärbasen, die Pressekonferenzen der prorussischen Separatisten. Wo die ReporterInnen sind, sind auch die News: Da schreien DemonstrantInnen besonders laut, liefern sich besonders starke Wortgefechte, sprechen PolitikerInnen eine besonders deutliche Sprache. Die Krise wird im TV übertragen. Die Kamera wird zur Daseinsberechtigung des/r ReporterIn; manche meiner GesprächspartnerInnen waren richtiggehend enttäuscht, dass ich nur einen Notizblock und Kugelschreiber in Händen hielt.
ReporterInnen vor Ort sind ständig auf der Suche nach „KämpferInnen“, „AktivistInnen“, „Leidtragenden“: VertreterInnen der radikalen Ansichten, FürsprecherInnen einer Sache. Wie die schweigende Mehrheit der Bevölkerung den Konflikt sieht, bleibt ausgeblendet. Die Bevölkerung ist in Zeiten des Konflikts zum Schweigen verdammt, niemand will sie hören: nicht die aufgeputschten AktivistInnen, nicht die auf griffige Zitate angewiesenen JournalistInnen.
Die Wahrheit. Ich habe die Annexion der Krim erlebt. Als auf dem Maidan in Kiew noch die Einheit des Landes beschworen und Plakate mit den Worten „Krim – wir sind mit euch“ hochgehalten wurden, wechselte die Halbinsel ihre Besitzer. Ähnliche Vorgänge scheinen sich nun im Osten der Ukraine zu wiederholen. Aus Zuschriften geht hervor, dass viele LeserInnen dennoch unzufrieden sind mit der in ihren Augen zu Russland-kritischen Berichterstattung. Die Medien, so heißt es, würden sich einem westlichen Meinungsdiktat beugen. Ich frage mich, warum diese Gegenreaktion so stark ist. Haben wir wirklich versagt bei der Berichterstattung vor Ort? Haben wir nicht alle Zwischentöne gehört, nicht alle Grautöne ausreichend beschrieben? In manchen Fällen vielleicht. Meine Vermutung ist aber, dass es in diesem Fall um einen größeren Konflikt geht, um eine neue Konfrontation zwischen Ost und West, der mit den konkreten Vorgängen vor Ort wenig zu tun hat.
Mag. Jutta Sommerbauer (Jg. 1977) studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien, seit 2008 ist sie Redakteurin bei der Tageszeitung „Die Presse“, zunächst im Ressort Chronik, dann Außenpolitik.