Gemeinsam gegen die Klimakrise. Freitags streiken die Schüler*innen, die Städte suchen nach Konzepten gegen die Hitze und im jüngsten Wahlkampf zur Nationalratswahl hat die Klimafrage Migration als Topthema überholt. Welche Rolle nimmt die Wissenschaft im aktuellen Klimadiskurs ein? Wie gestaltet sich die Schnittstelle zur Politik und warum ist jetzt eine derart breite Mobilisierung möglich wie schon lange nicht? Alumni und Wissenschafter*innen berichten von Orten, wo Klima- und Umweltpolitik derzeit verhandelt wird und wo Ideen und Konzepte für eine klimagerechtere Zukunft entstehen: auf der Straße, in den Städten und Regionen, in den Verhandlungsräumen der UNO und im Hörsaal – von lokal bis global, von Wissenschaft bis Aktivismus.
Leseprobe aus dem Schwerpunkt:
Nichtstun ist keine Option
Text: Siegrun Herzog
Ein Freitagmorgen im Dezember 2018. Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg sitzt mit ihrem Schild am Korridor des Konferenzzentrums im polnischen Katowice, wo gerade der UN-Klimagipfel über die Bühne geht, und streikt. Die Rede, die die damals 15-jährige Schülerin später vor den Politiker*innen aus aller Welt hält, bewegt viele Menschen und geht als Video viral. Tief beeindruckt von der jungen Schwedin ist auch Katharina Rogenhofer. Die Biologie-Alumna war als Praktikantin der UNO-Klimarahmenkonvention vor Ort und traf dort zum ersten Mal auf ihr heutiges Vorbild. „Greta saß dort, wo die Entscheidungsträger*innen der Welt vorbeigingen, und machte deutlich, worum es wirklich geht: um unsere Zukunft, um die Kinder und um die Generationen, die folgen. Ich fand das einfach ein starkes Zeichen und hätte mich gerne zu ihr gesetzt, war aber in einem Interessenskonflikt, weil ich ja für die UNO arbeitete.“
„Diese riesige Bewegung zu sehen hat mir viel Kraft gegeben. So könnten sie tatsächlich klappen, die großen Veränderungen.“
Katharina Rogenhofer BSc, MSc, Koordinatorin und Sprecherin Klimavolksbegehren, Biologie-Alumna (Universität Wien und University of Oxford)
Zurück in Österreich organisierte Rogenhofer gemeinsam mit zwei Freunden wenig später die erste Klimademo am Wiener Heldenplatz und holte damit die „Fridays for Future“-Bewegung nach Österreich. Seither lässt sie das Klimathema nicht mehr los. Als nur drei Monate später, am 15. März, schließlich über 25.000 großteils junge Menschen zum Klimastreik auf den Heldenplatz strömten, war sie selbst überrascht. „Diese riesige Bewegung zu sehen hat mir viel Kraft gegeben. Ich hatte das Gefühl, endlich ist da etwas, das der Größe des Problems angemessen ist, und dachte, ja, so könnten sie tatsächlich klappen, die großen Veränderungen.“
Knapp ein Jahr ist seither vergangen. Und die Streiks dauern an. Anlässlich des ersten UN-Jugendgipfels für Klimaschutz Ende September diesen Jahres in New York folgten weltweit rund vier Millionen Menschen dem Aufruf von Fridays for Future, um verstärkte Anstrengungen gegen die Erderwärmung zu fordern. „In diesem Jahr hat sich etwas deutlich verändert, nämlich die öffentliche Wahrnehmung des Klimawandels als gravierendes Problem“, bringt es Franz Essl auf den Punkt. Der Biodiversitätsforscher der Universität Wien unterstützt die Bewegung, der sich inzwischen auch rund 12.000 Wissenschafter*innen aus dem deutschsprachigen Raum als „Scientists for Future“ angeschlossen haben.
Neben der politischen Energie der Jugendbewegung mitsamt ihrer Galionsfigur, der es gelungen ist, das sperrige Thema emotional aufzuladen, sieht Essl vor allem die fühlbaren Folgen als Treiber, warum die Klimakrise aktuell so viele bewegt. Es mache eben einen Unterschied, ob man über abstrakte Modelle spreche oder ob man die Auswirkungen selbst spüren könne, so der Wissenschafter. „Die vergangenen drei Jahre waren in Österreich die heißesten in der bisherigen Messgeschichte. Wir leiden unter den Hitzeperioden in den Städten, man sieht es an den Wäldern, wo die Fichten sterben, die Landwirte haben Ernteausfälle zu beklagen. Der anlaufende Klimawandel ist nicht neu, doch wie rasch das alles voranschreitet, ist besorgniserregend.“
„Der anlaufende Klimawandel ist nicht neu, doch wie rasch das alles voranschreitet, ist besorgniserregend.“
Ass.-Prof. Dr. Franz Essl, Department für Botanik und Biodiversitätsforschung, Universität Wien
Artensterben als Alarmsignal. Essl, der sich in seiner Forschung mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität beschäftigt, sieht neuere Phänomene, wie die Verbreitung invasiver Arten in Österreich, etwa der Hanfpalme, die ursprünglich in wärmeren Gebieten vorkommt, oder das Fichtensterben in unseren Wäldern, als besorgniserregende Warnzeichen. „Das Artensterben ist ein gravierendes Alarmsignal, es zeigt, dass der Zustand unserer Ökosysteme das Überleben vieler Arten unsicher bis unwahrscheinlich macht“, so Essl. Aber in einer Umwelt zu leben, in der Lebensräume intakt sind, davon hänge auch unser Überleben letztlich ab, unsere Nahrungsmittelsicherheit oder der Schutz vor Naturgefahren. Was am Anfang noch klein und korrigierbar war, werde irgendwann so gravierend, dass es vielleicht nicht mehr korrigierbar sein oder die Lebensqualität sehr stark beeinträchtigen werde, warnt Essl.
Laut den Szenarien des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), der die Ergebnisse der aktuellen Klimaforschung zusammenträgt, kommen bis zum Ende des Jahrhunderts, also in den nächsten 80 Jahren, globale Temperaturanstiege von vier bis sechs Grad auf uns zu, wenn wir die Emission von Treibhausgasen nicht reduzieren. Regional könnten das sogar sieben bis acht Grad sein. „Das sind Temperaturanstiege, die katastrophale Auswirkungen haben würden“, so Essl. Durch den steigenden Meeresspiegel würden viele Millionen Menschen ihren Lebensraum verlieren, die Ressourcen knapp werden. Die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft, ja das Überleben wäre ernsthaft gefährdet.
Sind wir vielleicht längst an einem „Point of no Return“ angekommen? Es gebe nicht einen einzelnen Punkt, heißt es seitens der Wissenschaft. Doch auch ohne einen derartigen Punkt genau kennen zu können, müsse die oberste Priorität sein, rasch umzusteuern, national, aber auch global, um auf Emissionspfade zu kommen, die einen deutlich moderateren Klimawandel mit sich bringen. „Viele Systeme haben eine gewisse Anpassungskapazität, die aber von der Geschwindigkeit der Veränderung abhängt. Wenn es langsamer geht, ist es leichter.“ Und das betreffe keineswegs nur die Biodiversität, sondern auch die Gesellschaft, ist Essl überzeugt. Schon bei 1,5 bis 2 Grad mehr komme es zu vielen Kipp-Punkten, wo selbstverstärkende Effekte zu erwarten sind. „Diese politischen Klimaziele sind wissenschaftlich sehr gut abgesichert, die sollte man nicht überschreiten“, betont der Biologe.
Missing Link. Dass die Klimapolitik unterm Strich versagt habe, die gesetzlichen Maßnahmen nicht ausreichten, den nötigen Umbau voranzutreiben, darüber sind sich Klimawissenschafter*innen in Österreich einig. Koordiniert vom Climate Change Center Austria (CCCA), legten Forscher*innen nun einen eigenen Klimaplan vor, mit deutlich ehrgeizigeren Maßnahmen als jenem, der Ende 2018 von der Bundesregierung präsentiert worden und von der EU-Kommission als unzureichend kritisiert worden war. Dieser Referenzplan zeigt auf, wie Österreich internationale Vereinbarungen erfüllen könnte mit dem Ziel einer nahezu Treibhausgas-emissionsfreien Gesellschaft und Wirtschaft. Darunter finden sich Maßnahmen wie eine ökosoziale Steuerreform oder der Ausbau von erneuerbaren Energien und des öffentlichen Verkehrs.
Auch Katharina Rogenhofer ist überzeugt, dass eine Wende möglich ist. Dass alle Parteien sich im Wahlkampf auf die Klimathematik beziehen mussten, wertet sie als Erfolg der Bewegung. Die Biologie-Alumna hat über den Aktivismus eine Vermittlerrolle gefunden: „Ich habe den Eindruck, dass Fridays for Future das Missing Link ist zwischen Wissenschaft und Politik. Wir berufen uns auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Konzepte liegen auf dem Tisch. Jetzt bauen wir Druck auf, damit es nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt.“ Die Klimaaktivistin möchte die positiven Visionen erzählen, den Gewinn an Lebensqualität betonen. „Wäre es nicht schön, wenn alle sich das Zugfahren leisten könnten, wenn man mit Öffis tatsächlich überall zur Arbeit käme? Wenn es mehr Grünflächen in der Stadt gäbe, die kühlen, mehr Radinfrastruktur und Fußgängerzonen? Wenn Dinge billiger würden, die auch klimafreundlich sind? Ich glaube, das könnte uns in eine Zukunft bringen, die nicht nur nachhaltiger ist, sondern auch fairer und lebenswerter für uns alle“, malt Rogenhofer ein positives Klima-Bild der Zukunft. Die Organisation der freitäglichen Schüler*innenstreiks liegt inzwischen bei anderen, die 26-Jährige beschäftigt derzeit eine weitere politische Initiative, das bundesweite Klimavolksbegehren. Für sie ein weiterer logischer Schritt hin zu einem breiten Dialog, um den notwendigen politischen Druck aufzubauen.
Eine gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft sieht auch Franz Essl: „Für mich als Wissenschafter ist es wichtig, diese Verantwortung wahrzunehmen, weil es entscheidende Zukunftsthemen sind, die politisch, aber auch in der breiteren Gesellschaft bisher nicht adäquat angekommen sind.“ Aber genau das scheint sich ja gerade zu ändern. •