Eine Stadt unter Strom
Highspeed. In seinem Job als Multimedia-Designer dreht sich bei Benjamin Kitzinger alles um Bewegung. Welche Spitzengeschwindigkeit eine Stadt erreichen kann, erfuhr der Alumnus der Informatik erst in Shanghai.
Text: Michaela Dürmoser
Der Gedanke an Batmans Heimat „Gotham City“ schoss Benjamin Kitzinger durch den Kopf, als er vom Balkon des Appartements im 26. Stock zum ersten Mal über die nächtliche Skyline der chinesischen Megastadt blickte. „Es war surreal, in dieser völlig anderen Welt anzukommen, und es dauerte etwas, bis ich realisierte, tatsächlich in Shanghai zu sein“, erinnert sich Kitzinger. Ein Praktikum in einer internationalen Softwarefirma führte den Alumnus der Informatik rund 8.500 Kilometer ostwärts in die Metropole am Ostchinesischen Meer. Dass die ersten Herausforderungen nicht lange auf sich warten ließen, weiß der 26-Jährige noch genau: „Ich musste ein Bankkonto eröffnen und meinen Wohnsitz melden.“ Die Sprachbarriere sei dabei halb so schlimm, viel schwieriger das Finden der jeweiligen Adressen gewesen.
Besser als Fernsehen. Seither sind eineinhalb Jahre vergangen – das Praktikum wurde zu einer Festanstellung, das Leben in der chinesischen Metropole Alltag. Was einst Herausforderung war, ist jetzt Routine: Nach vier Umzügen ist Kitzinger in Sachen Meldung des Wohnortes und Herunterhandeln des Mietpreises geübt. Nachdem sich der Alumnus Appartements mit Freunden und Fremden teilte, hat er jetzt seine eigene, zentral gelegene, Wohnung. Fernseher hat er keinen, was ihn jedoch nicht stört, denn von seinem kleinen Balkon aus zu beobachten, was auf der Straße passiere, sei ohnehin besser als jeder Film. „In Shanghai weiß man nie, auf welche Kuriositäten man trifft“, sagt Kitzinger. So seien etwa Hunde im Prinzessinnenkostüm, die nach dem Besuch im Haarsalon für Vierbeiner frei auf der Straße auf und ab laufen, keine Seltenheit. Überraschend war für den Informatiker die Neugier, mit der Chines*innen Menschen aus dem Westen begegnen. Als Europäer fühle man sich manchmal wie eine berühmte Persönlichkeit. „Einmal kam ein kleiner chinesischer Junge schüchtern auf mich zu und wollte mich berühren. Seine Familie beobachtete uns gespannt aus 30 Metern Entfernung und begann aufgeregt zu winken, als ich mich nach ihr umsah.“ Aber nicht nur über die chinesische Kultur gebe es in Shanghai viel zu lernen, man treffe Menschen aus allen Ecken der Welt. „Die Expat-Community ist riesig und vielfältig“, sagt Kitzinger, „neue Kontakte knüpft man schnell.“ Schnell geschehe in Shanghai generell alles. Und manchmal fällt es auch dem Alumnus nicht leicht, mit der hohen Geschwindigkeit der Stadt mitzuhalten. „Menschen kommen und gehen in kurzen Intervallen. In wenigen Wochen ragen neue Wolkenkratzer in den Himmel. Neue Technologien sind nach einem halben Jahr schon wieder veraltet“, berichtet er.
Im Fluss. Und auch auf den Straßen der Metropole geht es rasant zu. „Für mich war lange nicht klar, wann ich nun über Kreuzungen gehen konnte, es schien bei Grün sogar gefährlicher zu sein als bei Rot“, sagt Kitzinger. Mittlerweile hat er sich an das Treiben auf den Straßen gewöhnt. Was anfangs chaotisch erschien, werde zu einem natürlichen Verkehrsfluss, wenn man sich darauf einlasse und einfach partizipiere. Und so bereitet es dem Multimedia-Designer heute mehr Spaß als Angst, wenn er auf seinem Electroscooter durch Shanghai flitzt und dem Verkehrsfluss folgt. „Dem Flow zu folgen“ ist ohnehin sein Motto. Wo er in fünf Jahren sein wird, kann Kitzinger noch nicht sagen. „Aber ich bin neugierig, wohin mich neue Möglichkeiten bringen werden.“