Der Wunsch nach mehr Work-Life-Balance macht auch vor den Führungsetagen nicht halt. Dass ManagerInnen in Teilzeit gehen, ist in Österreich noch ein weites Experimentierfeld. univie hat sich bei AbsolventInnen umgehört, welche Erfahrungen sie als Führungskräfte mit Teilzeit machen und was die Wissenschaft über dieses Phänomen der modernen Arbeitswelt weiß. (Foto: Shutterstock, Bearbeitung Egger & Lerch)
Leseprobe aus dem Schwerpunkt:
Moderne (Teil)zeiten
Text: Siegrun Herzog
Seine 80 Mitarbeiter in Indien, China, Rumänien, Deutschland und Österreich führt Roman Morawek von Wien aus, zehn Teams leitet der Manager bei einem internationalen Automotive-Großkonzern, von montags bis mittwochs. Donnerstag und Freitag sind für die drei Kinder reserviert, Roman Morawek ist Führungskraft in Teilzeit. Für sechs Jahre reduzierte der 39-Jährige seine Arbeitszeit vom üblichen All-In-Vertrag auf 30 Stunden pro Woche. Gefreut habe sich sein Vorgesetzter freilich nicht darüber, schmunzelt Morawek, als er als Erster im Unternehmen den Teilzeit-Wunsch äußerte. „Dass eine Führungskraft in Teilzeit gehen will, war absolut unüblich. Ich wusste nicht, ob ich meinen bisherigen Job überhaupt behalten kann. Dass jemand anderer meine Position übernimmt, war eine Option, die passieren hätte können.“ Die Entscheidung, es trotzdem zu wagen, sei ihm nicht leicht gefallen und rückblickend vielleicht sogar die größte Herausforderung bei der ganzen Sache gewesen, sagt er heute.
Als Teilzeit-Manager ist Roman Morawek ein Exot. Nur sechs Prozent der Führungskräfte arbeiten in Österreich in Teilzeitmodellen, das sind rund 5.000 Männer und 10.800 Frauen. Bei den unselbstständig Beschäftigten lag die Teilzeitquote 2014 insgesamt bei 28 Prozent, der Schwerpunkt klar bei den Frauen – 47 Prozent gegenüber elf Prozent bei den unselbstständig beschäftigten Männern (Quelle: Statistik Austria, Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung).
Mit Teilzeitmodellen, besonders in gehobenen Positionen, werde derzeit viel experimentiert, beobachtet der Arbeits- und Organisationspsychologe Christian Korunka von der Universität Wien. „Wir befinden uns in einer Übergangssituation, wo die gesellschaftlichen Regeln erst ausgehandelt werden, Österreich ist eher ein Schlusslicht in dieser Entwicklung.“ In Ländern wie den Niederlanden oder Teilen Skandinaviens wird Teilzeit als gut etabliertes Instrument eingesetzt und ist gesellschaftlich akzeptiert, was auch die Umsetzung für Führungskräfte einfacher macht.
Eine Frage der Kultur. Diese Erfahrung teilt auch Katharina Janauschek. Die Absolventin der Wirtschaftspsychologie verbrachte sechs Jahre ihres bisherigen Berufslebens im Ausland, unter anderem in Norwegen und den Niederlanden, wo auch ihre beiden Kinder, heute fünf und sieben Jahre alt, zur Welt kamen. „In Norwegen ist es gang und gäbe, dass Väter um 16 Uhr aus der Arbeit gehen, um ihre Kinder abzuholen. Dass Mütter relativ rasch, meist nach einem Jahr, wieder in ihren Job zurückkehren und Väter genauso ihre Verantwortung übernehmen, wird in dieser Kultur als richtig bewertet.“ Janauschek leitet die Personal-Agenden bei Unilever und arbeitet aus Gründen der besseren Vereinbarkeit „nur“ 80 Prozent. Als besonders herausfordernd empfindet sie die tägliche Organisation, das Management des Alltags. Um 15 Uhr verlässt die HR-Chefin meist ihr Büro, der Nachmittag gehört den Kindern, E-Mails werden abends oder frühmorgens abgearbeitet. Nach einer anfänglichen Annäherungsphase hätten sich die MitarbeiterInnen inzwischen an die flexiblen Arbeitszeiten ihrer Vorgesetzten gewöhnt. Für Janauschek steht fest: „Die Verantwortung verringert sich nicht mit der Teilzeit, aber ich habe mehr Flexibilität, wie ich mir meine Arbeit einteile.“
„Teilzeitlösungen sind ein wichtiger Teil innerhalb der schwedischen Gesellschaft, um Gesundheit, Familie, Weiterbildung und sich selbst zu unterstützen und zu fördern. Als stellvertretender Schulleiter habe ich meinen Dienst so angepasst, dass ich eineinhalb Tage mit meiner Tochter verbringe."
Franz Rau, Alumnus der Pädagogik, stv. Schulleiter Björkvallskolan, Uppsala, Schweden
Flexible Arbeitszeit zu haben, heißt im Grunde, jederzeit und überall arbeiten zu können. Die Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben verschwimmen bzw. lösen sich ganz auf – „Entgrenzung der Arbeit“ nennt Christian Korunka dieses Phänomen der modernen Arbeitswelt, das derzeit auch in der arbeitspsychologischen Forschung ein wichtiges Thema ist. „Die Auflösung von räumlichen und zeitlichen Grenzen hat völlig neue Ausmaße angenommen. Heute kann man mit einem Tablet-PC und einer SAP-Software ein Unternehmen im Grunde auch am Strand sitzend steuern“, bringt es der Arbeits- und Organisationspsychologe auf den Punkt. Was es heißt, wenn diese Grenzen verschwimmen, weiß auch Roman Morawek. Bei Problemen in der Firma auch von zu Hause aus einzugreifen, am Abend, am Wochenende oder im Urlaub, gehört für ihn zu den normalen Anforderungen an eine Führungskraft, egal ob in Teilzeit oder nicht.
Die Gründe, warum Beschäftigte ihre Arbeitszeit reduzieren wollen, sind vielfältig. Neben Kinderbetreuungspflichten spielt die Pflege von Angehörigen ebenso eine Rolle wie eigene Krankheit oder Alter, Weiterbildung oder schlicht der Wunsch nach mehr Work-Life-Balance. Unternehmen haben zusehends Interesse, diesen Wünschen nach flexiblen und reduzierten Arbeitszeiten entgegenzukommen – für sie sind die hochqualifizierten Fachkräfte eine wertvolle Ressource, die sie möglichst dauerhaft ans Unternehmen binden wollen. Auch angesichts von Fachkräfteengpässen werden flexible Arbeitszeitmodelle daher in Zukunft wichtiger.
"Ich arbeite ‘nur’ 80 Prozent, da mir meine Work-Life-Balance sehr wichtig ist. Zeit für meine Familie, Freunde und auch für mich selbst stehen an oberster Stelle. Geld kann man ersetzen, jedoch die Zeit mit den Menschen, die einem wichtig sind, nicht.“
Victoria Blaha, Alumna der Pharmazie, Managerin für Arzneimittelzulassung bei Louis Widmer, Zürich, Schweiz
Auf der Plusseite dieser Entwicklung sieht Korunka eine generelle Flexibilisierung der Lebensplanung für die Beschäftigten. „Die Arbeitszeit je nach Lebensphase, auch mit dem Partner/der Partnerin, abstimmen zu können und über den Lebenszyklus zu variieren, ist sicherlich ein Vorteil. Kritisch sehe ich allerdings, wenn Teilzeit lediglich die wirtschaftliche Flexibilität erhöht und den Leuten aufgezwungen wird.“ Denn da komme das Thema Sicherheit ins Spiel, ein geringeres Einkommen und geringere Pensionsansprüche. Ob Teilzeit positiv oder negativ zu bewerten sei, hänge jedenfalls davon ab, ob jemand aus freien Stücken in Teilzeit arbeite oder vom Unternehmen dazu genötigt werde, so der Psychologe.
Interessen der Unternehmen. Der Betriebswirt Oliver Fabel erkennt im gegenwärtigen Teilzeit-Trend vor allem ein Steuerungsinstrument für Unternehmen. „Aus Erhebungen wissen wir, dass vor allem junge Menschen großen Wert auf flexible Arbeitszeiten legen. Manche Unternehmen setzen das gezielt im Sinne eines Employer Branding ein“, so Fabel. Gerade hochqualifizierte MitarbeiterInnen und Nachwuchskräfte seien mit kreativen Freiräumen, etwa einem freien Tag in der Woche oder einem Sabbatical-Halbjahr, zu motivieren, über neue Entwicklungen nachzudenken. Für die Unternehmen sei aber jede Teilzeitlösung zunächst einmal teurer, sagt Fabel. Denn die Fixkosten pro Kopf steigen – durch eine größere Personalabteilung, mehr Administrationsaufwand, steigende Sozialversicherungskosten etc. Die Vielfalt der Modelle, die es gibt, deute darauf hin, dass kreativ nach Lösungen gesucht werde. Teilzeitlösungen werden als Instrument zur Anziehung, Bewahrung und Entwicklung der knappen Ressource Humankapital von Unternehmen bewusst eingesetzt, dürfen aber nicht die Kernanforderung an Führungskräfte, die Übernahme von Verantwortung für Entscheidungen, konterkarieren.
„Hier in Singapur ist Teilzeit fast unmöglich, vor allem in leitenden Positionen - und es scheint außerdem ein typisch europäisches Thema zu sein. Als ich meine lokalen KollegInnen dazu in der Mittagspause fragte, bekam ich nur Gelächter und hochgezogene Augenbrauen als Reaktion."
Marius Rummel Alumnus der Politikwissenschaft, Manager Communications and Branding Crop Protection Asia Pacific/BASF, Singapur
Vertrauenssache. Dass Roman Moraweks Anliegen letztlich unterstützt wurde, ist vor allem auf eine gute Vertrauensbasis zurückzuführen: „Meine Vorgesetzten kannten mich und wussten, dass sie sich auf mich verlassen können.“ Vertrauen muss auch er als Chef. Seine Mitarbeiter, die an Firmenstandorten Hunderte bis Tausende Kilometer entfernt von der Wiener Niederlassung arbeiten, sieht er selten persönlich und durch die reduzierte Arbeitszeit ist auch das Team in Wien nicht dauernd „unter Aufsicht“. „Wenn weniger gemeinsame Arbeitszeit zur Verfügung steht, wird noch klarer, wer eine gute Führungskraft ist – bei einer sehr guten Führungskraft ist der Unterschied gar nicht so groß, fällt eine Teilzeit-Anwesenheit weniger ins Gewicht“, resümiert Christian Korunka.
Moraweks Ansehen im Unternehmen tat die Teilzeit jedenfalls keinen Abbruch, im Gegenteil, er wurde sogar befördert. Nicht zuletzt durch die Unterstützung seiner Frau, die als Selbstständige tätig und ebenfalls relativ flexibel in ihrer Zeiteinteilung sei, habe er seinen Job weiterhin gut machen können, ist der Elektrotechnik-Absolvent, der an der Uni Wien dazu VWL und Soziologie abgeschlossen hat, überzeugt. „Ich konnte meine Themen weiterführen, viele im Unternehmen haben gar nicht bemerkt, dass ich in Teilzeit bin.“ Die bisherigen Erfahrungen mit Führungskräften in Teilzeit sind zwar noch nicht sehr zahlreich, aber durchaus gut. Überbewerten möchte sie Oliver Fabel dennoch nicht, da sie eine Positivauswahl reflektieren. „Weil Führen in Teilzeit noch nicht etabliert ist, müssen das Persönlichkeiten sein, die besonders motiviert sind und über das entsprechende Selbstbewusstsein verfügen, mit dem Druck, beweisen zu müssen, dass es geht, umgehen können und sich auch zutrauen, dies beweisen zu können“, so Fabel. Bewiesen, dass es geht, das haben Katharina Janauschek und Roman Morawek allemal. Wichtig ist den beiden ManagerInnen aber vor allem die Vorbildwirkung: „Wenn viele Menschen merken, dass es möglich ist, von den MitarbeiterInnen bis zur DirektorInnen-Ebene, verändert sich auch die Kultur.“ •
Veranstaltungstipp:
Alumni Lounge #1: Management neu denken: Führungskraft & Teilzeit? Montag, 4. April 2016, 18 Uhr Sky Lounge, Universität Wien Oskar-Morgenstern-Platz 1, 1090 Wien