Richtungswechsel
Fachfremde Karrieren. In einem Bereich Fuß zu fassen, der mit dem eigenen Studium auf den ersten Blick nicht viel zu tun hat: univie hat den Herausforderungen nachgespürt.
Text: MARGIT BITTNER | Artikel als PDF aus: univie 01/2013
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Die Entscheidung für oder gegen einen Job ist nicht immer leicht. Es darf durchaus fachfremd sein. |
Geradlinige Karriereverläufe ohne Umwege sind längst kein Muss mehr. Weiterbildungen, Praktika, Auszeiten und Phasen der Umorientierung gehören heute einfach dazu. Den Fachbereich ganz zu wechseln, dazu braucht es aber nicht nur eine Portion Mut und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, auch die Offenheit der Unternehmen ist hier gefragt. Wie experimentierfreudig sind die österreichischen Unternehmen, wenn es um die Einstellung von Quereinsteiger*innen geht? „Ich denke, das ist ganz unterschiedlich“, meint Ingrid Lawicka von Infineon Technologies Austria. „Je nachdem, wie sehr ein Unternehmen wünscht, auch andere Perspektiven hinein zu bringen.“ Ingrid Lawicka ist in dem Technologieunternehmen für das Kommunikationsmanagement zuständig. Studiert hat sie allerdings Theaterwissenschaft und Germanistik an der Uni Wien. „Und das mit großem Interesse und viel Leidenschaft“, erzählt sie. Aber das Studium musste finanziert werden, also begann sie bereits nebenbei für Apple Computer im Bereich Marketing und PR zu jobben. „Dadurch habe ich meine Kompetenzen um wirtschaftliche und technische Aspekte erweitert und neue spannende Bereiche kennengelernt. Ich bin mehr und mehr in die Technologiebranche hineingewachsen. Das Studium abzuschließen, war mir aber sehr wichtig.“ Sich einbringen Als besonderes Know-how bringt die Theaterwissenschafterin ihr gutes Gespür für Sprache und Ausdrucksfähigkeit in das technische Unternehmen ein. Auch ihr Wissen um Dramaturgie und Inszenierung kann sie in ihrem fachfremden Job umsetzen. Etwa bei Firmenveranstaltungen oder in der Unterstützung der Vorstände bei öffentlichen Auftritten. „Auch hier geht es letztlich ums ‚Inszenieren‘. Ich betrete den Veranstaltungsraum schon mit ganz anderen Augen.“ Dass er in seinem fachfremden Beruf enorm von seinem Studium profitiert, glaubt auch Christoph Hauke, Geschäftsführer des Orpheum Wien, einer Kabarett- und Kleinkunstbühne mit angeschlossenem Restaurant. Der ausgebildete Lehrer für Sport und Geografie kann seine pädagogischen Fähigkeiten etwa in der Personalführung gut gebrauchen. Auch er jobbte bereits neben seinem Studium in der hauseigenen Gastronomie. Nach und nach kamen immer mehr Agenden zu seinem Aufgabengebiet, bis ihm schließlich der Posten des Geschäftsführers angeboten wurde. Etwas für sich mitnehmen „Anfangs hatte ich Bedenken, als Fachfremder das Vertrauen der Künstler*innen zu gewinnen, die haben sich aber schnell zerschlagen“, erzählt Hauke. Das Thema Finanzen dagegen habe ihm mehr Probleme bereitet als gedacht. Diese Aufgaben hat daher seine Geschäftspartnerin übernommen. „Für einen alleine wäre das alles sowieso zu viel.“ Studierenden rät er bereits während des Studiums zu arbeiten, soziale Kontakte zu pflegen und weltoffen zu denken. „Man kann immer etwas für sich mitnehmen. Wichtig ist, unterschiedliche Charaktere zu akzeptieren und nicht verbohrt in seinen Ansichten durch die Welt zu gehen.“ Veronika Haberler absolvierte die Modeschule Hetzendorf und studierte Soziologie und Kulturmanagement. Heute arbeitet sie in einer Anwaltskanzlei im Bereich Strategie und Analyse. Sie analysiert etwa Konfliktsituationen und berät Mandant*innen in außergerichtlichen Verhandlungen. „Als Soziologin beratend tätig zu sein, ist prinzipiell nicht ungewöhnlich. Dass ich in einer Anwaltskanzlei gelandet bin, ist aber schon etwas exotisch“, lacht Veronika Haberler. Ergeben hätte sich der Karriereverlauf aus dem Privatbereich. „Ich habe mich immer wieder mit Jurist*innen im Bekanntenkreis ausgetauscht. Die juristischen Probleme fand ich spannend und es hat mir Spaß gemacht, einen anderen Blickwinkel hineinzubringen.“ Von Seiten der Rechtsanwält*innen wäre anfänglich durchaus Skepsis zu spüren gewesen, aber man wollte es einmal versuchen. „Ein wichtiges Argument war, dass ich auch organisatorische und administrative Aufgaben übernommen habe. Damit war das Risiko für den Arbeitgeber geringer. Bei so einem Experiment muss man aber in Kauf nehmen, dass es auch schieflaufen kann“, gibt die Soziologin zu bedenken. Von ihrem Studium könne sie auf jeden Fall etwas einbringen. Zum Beispiel das Wesentliche einer Sache zu erkennen oder das Beobachten und Analysieren von Daten. Dennoch möchte Haberler ihr Wissen in ihrem jetzigen Berufsfeld vertiefen und begann mit einem Jus-Lehrgang. Denjenigen, die in einem fachfremden Bereiche Fuß fassen wollen, rät sie, sich gut über die Branche und das Wunschunternehmen zu informieren. „Man sollte sich bis ins Detail überlegen: Wie würde mein Arbeitsalltag aussehen? Welche Fähigkeiten kann ich einbringen und was erwartet mein Arbeitgeber?“ Bunte Teams Michael Hamberger, Wirtschaftstrainer und Coach, möchte Berufseinsteiger*innen ermutigen, es auch in fachfremden Bereichen zu versuchen. „Der erste Job muss nicht unbedingt einschlägig sein, man sollte aber bereit sein, sich Zusatzqualifikationen anzueignen. Damit baut man zugleich für den weiteren Karriereverlauf vor und Anschlussqualitäten aus.“ Für ihn geht der Trend durchaus zu fachfremden Karrieren. „Die Unternehmen werden immer mehr mischen. In allen Bereichen braucht es natürlich Topexpert*innen, aber es braucht auch ‚bunte‘ Menschen, damit ein Team funktioniert, dann hat mehr Leben und Innovation Platz.“ • |