Japanologin mit Sonderstatus
Tokio-Wien und retour. Katrin Jumiko Leitner ist eine jener Absolvent*innen auf der Alumni Map, die heute am weitesten von Wien und ihrer Alma Mater entfernt leben – in Tokio. Zur Abschlussfeier des Uni-Jubiläums flog die Japanologin als Gewinnerin der Alumni-Map-Reise nach Wien.
Text: Siegrun Herzog
Zwei Jahre ist es her, seit Katrin Jumiko Leitner nach Tokio gezogen ist. Die 33-Jährige arbeitet als Assistenzprofessorin am Institut für Sport und Wellness an der renommierten Privatuniversität Rikkyo, etwas außerhalb von Tokio. Einmal in Japan zu leben, sei schon während des Studiums ihr Traum gewesen, erzählt Leitner, die selbst mit einer japanischen Mutter und einem österreichischen Vater in der Steiermark aufgewachsen ist und an der Uni Wien Japanologie studiert hat. In einer typisch japanischen Firma arbeiten wollte sie aber nicht. „In Japan zu arbeiten heißt praktisch, für die Firma zu leben“, erzählt Leitner. An der Universität habe sie zwar etwas mehr Spielraum, ein gänzlich arbeitsfreies Wochenende gab es in den vergangenen zwei Jahren dennoch kaum. Ausgleich findet die Vielbeschäftigte beim Sport. Seit ihrer Kindheit betreibt Leitner Judo, sie war sogar Mitglied im österreichischen Judo-Nationalteam. Sport, konkret der Firmensport in Japan, beschäftigt die Austro-Japanerin auch in ihrer Forschung. „In Japan werden Leistungssportler*innen von den Firmen angestellt und können nach ihrer aktiven Zeit weiter im Unternehmen arbeiten. Erfolgreiche Sportler*innen bringen den Firmen Ansehen.“
Auch an den Universitäten spielen Sport und die Zugehörigkeit zu einem Club eine große Rolle. „Wenn du sagst, du warst im Judoteam der Uni, zählt das oft mehr als die Kurse, die du während des Studiums belegt hast“, so Leitner. Wichtig an den Sportclubs sei es, zu lernen, wie man in einer Gruppe kooperiert. „Deswegen sind auch Teamsportarten so wichtig, Verhalten, das man dort lernt, lässt sich später auf die Karriere ummünzen.“
Alumni auf Japanisch. Eng verbunden mit den universitären Clubs ist die Alumnikultur, die in Japan sehr ausgeprägt ist. „OB“ und „OG“, wörtlich übersetzt „old boy“ und „old girl“, nennt man Alumna und Alumnus auf Japanisch. Auf welche Universität jemand geht, beeinflusst die berufliche Laufbahn stark. Die Bildungsroute gebe oft vor, wo man später arbeiten könne. „In Japan ist es oft wichtiger, wo du studierst, weniger welche Fachrichtung“, bringt es die Uni-Wien-Absolventin auf den Punkt. Das starke Gruppenbewusstsein macht sich auch bei der Jobsuche bemerkbar. Firmenchefs holen sich gerne die eigenen Leute, sprich Absolvent*innen derselben Universität, in ihre Firma. „In Japan ist es sehr wichtig, dass du zu einer Gruppe gehörst, Individualität ist nicht so sehr gefragt“, so Leitner.
Warum sie sich mittlerweile in Japan wohler fühle als in Österreich, sei gar nicht so einfach zu erklären. „Ich mag die Mentalität hier, die Höflichkeit, das Geordnete“, überlegt die Neo-Tokioterin. Als Halbjapanerin habe sie gewissermaßen einen Sonderstatus inne. „Ich bin keine komplette Ausländerin, muss aber auch nicht zu hundert Prozent Japanerin sein mit all den damit verbundenen Konventionen.“ Über den unerwarteten Wien-Besuch hat sich die Alumna jedenfalls sehr gefreut: „So habe ich doch noch etwas vom Uni-Jubiläumsjahr mitbekommen“.