Der Druck nimmt zu
Auslandskorrespondenz. Seit Jänner 2015 leitet Alumnus Jörg Winter das ORF-Büro in Istanbul. Wie er das derzeitige politische Klima im Land erlebt und warum es sich lohnt „Fake-News“ zu kontern, berichtet der Journalist sehr persönlich und voll Leidenschaft für seinen Beruf.
Text: Jörg Winter
Autoritäre Systeme haben abgewirtschaftet, der liberalen Demokratie gehört die Zukunft. Mit dieser politischen Überzeugung habe ich, kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Wende in Osteuropa, im Herbst 1990 mein Studium begonnen. 27 Jahre später, nach fast zwei Jahrzehnten als Auslandsreporter und Korrespondent beim ORF, ist diese Überzeugung ordentlich ins Wanken geraten.
„Wenn ihr Euch weiterhin so verhaltet, dann wird die Verlängerung Eures Visums ein Problem“. Was mir die finster dreinblickenden Herren im Keller des Pekinger Polizeihauptquartiers zu sagen hatten war eine unverhohlene Drohung. Wir wollten zuvor zum Jahrestag des Tiananmen-Massakers in der Nähe des Platzes im Zentrum Pekings Interviews machen. Und haben damit eine rote Linie überschritten. Überrascht hatte mich das damals nicht. Medien in China waren schließlich nie frei.
Warnendes Beispiel. Wirklich überrascht war ich aber vier Jahre später. Nach meiner Übersiedelung in die Türkei. Hier werden regierungskritische Journalist*innen mittlerweile als Staatsfeinde, Spione und Terrorunterstützer gebrandmarkt. Zuerst nur die einheimischen, mittlerweile nimmt aber auch der Druck auf uns ausländische Korrespondent*innen zu. Was war passiert mit einem Land, das bereits eine durchaus freie und bunte Presse hatte, das tiefgreifende politische Reformen und einen beeindruckenden wirtschaftlichen Boom erlebt hatte? Die Türkei ist längst ein warnendes Beispiel dafür geworden, dass demokratische Errungenschaften auch wieder rückgängig gemacht werden können, dass politische Entwicklung nicht nur Fortschritt bedeuten kann. Sondern auch das Gegenteil.
Als Fulbright-Stipendiat an der New York University hatte ich große Ehrfurcht vor den amerikanischen Gründungsvätern. Vor einem System, das – anders als viele in Europa – immun gegen politische Extreme zu sein schien. Aus heutiger Sicht war ich damals naiv. Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten auf einer Plattform von Halb-und Unwahrheiten deutet auf eine Zeitenwende hin. Die Zahl an Twitter-Followers scheint zu definieren wer die Wahrheit sagt. Seriöse Medien werden als „Fake-News“ verunglimpft, der Aufschrei unserer angeblich so aufgeklärten westlichen Gesellschaft bleibt bisher bescheiden.
Das frustriert. Und doch ist der Beruf des Korrespondenten für mich der Spannendste den es gibt. Den Drang zu Reisen, aus dem österreichischen und europäischen Alltag auszubrechen, den hatte ich schon als Student. Meine Lehrer am Geographie-Institut der Universität Wien haben diese Sehnsucht nach der Fremde, aber auch die Freude an der tiefgehenden politischen und sozialen Analyse in mir entfacht. Fulbright hat mir mit einem post-graduellen Studium in New York das journalistische Werkzeug in die Hand gedrückt. Der ORF schließlich gab mir die Möglichkeit all das zum Beruf zu machen.
Facebook versus Journalismus. Ich bin noch immer Auslandsjournalist mit großer Leidenschaft. Ich möchte nichts anderes machen. Aber ich mache mir Sorgen. Was passiert mit einer Gesellschaft, wenn Filter in sozialen Medien Menschen immer wieder mit den gleichen Unsinnigkeiten, Vorurteilen und Lügen beschallen? Wenn Meinungen auf Facebook über die seriöse Recherche triumphieren? Es wird Zeit, dass echter Journalismus die sozialen Medien flutet. Dazu braucht es junge Leute, die diesen Beruf ausüben wollen, die politischer Dumpfheit und nationalem Kleingeist trotzen wollen. Wer dazu noch eine Portion Neugier und Sehnsucht nach der Ferne mitbringt wird mit Erfahrungen und einer neuen Sicht auf diese exotisch weite und faszinierende Welt belohnt. Welcher andere Beruf kann dies alles auf einmal bieten?