Mit der Kraft der Crowd. In Zeiten von Smartphones und sozialen Medien ist Partizipation, so scheint es, einfach wie nie. Ob in Wissenschaft oder Politik, BürgerInnenbeteiligung ist ausdrücklich erwünscht. Doch allein, dass es einfacher geworden ist mitzumachen, heißt noch lange nicht, dass alle es auch tun können oder wollen. Wer profitiert von dieser Beziehung und macht sie die Wissenschaft oder gar die Gesellschaft als Ganzes offener? (Foto: iStock/Valengilda)
Leseprobe aus dem Schwerpunkt:
Die Mobilisierung der Mitmach-Gesellschaft
Text: Siegrun Herzog
Sie zählen Igel, notieren, wann die ersten Blätter von den Bäumen fallen, oder fotografieren überfahrene Tiere am Straßenrand. Immer mehr BürgerInnen sind im Dienste der Wissenschaft aktiv. 33 Projekte listet die Plattform „Citizen-Science“ aktuell in Österreich, der Großteil beschäftigt sich mit Natur- und Umweltthemen. Im anglo-amerikanischen Raum bereits seit Längerem gängige Praxis, ist die BürgerInnenbeteiligung in der Wissenschaft nun auch in Österreich angekommen.
Mitmach-Gesellschaft. Dass Laien sich an Wissenschaft beteiligen, war noch nie so einfach wie heute. Oftmals genügt ein Smartphone als Tool, um Beobachtungen aufzuzeichnen und an die WissenschafterInnen zu übermitteln. „Die personalisierte Digitalisierung, also das Phänomen, dass wir fast alle nahezu ständig digitale Geräte bei uns tragen, hat die Verbreitung von Citizen Science massiv beschleunigt“, ist Barbara Prainsack überzeugt. Die Alumna der Politikwissenschaft beschäftigt sich am King’s College in London mit partizipativen Formen in der medizinischen Forschung, wo man in Großbritannien schon gute Erfahrungen mit Beteiligungsmodellen gemacht hat. „Durch die Einbindung von PatientInnen bereits in der Planungsphase wird die Forschung einfach besser“, so Prainsack. Citizen Science kann unterschiedliche Ausprägungen annehmen und reicht vom klassischen Crowdsourcing, wo BürgerInnen zum Sammeln großer Datenmengen beitragen, bis hin zum Analysieren von Daten und Mitgestalten von Forschungsfragen durch Laien.
"Durch die Einbindung von PatientInnen bereits in der Planungsphase wird die Forschung einfach besser."
Barbara Prainsack
Professorin am Department of Global Health & Social Medicine, King’s College London, Alumna der Politikwissenschaft der Uni Wien
Die Teilnahme von AmateurInnen an wissenschaftlicher Forschung ist nicht gänzlich neu. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war es durchaus üblich, dass auch nicht speziell dafür ausgebildete Menschen Forschung betrieben. Der Naturforscher Charles Darwin wird in diesem Zusammenhang gerne als erster Promi-Citizen-Scientist genannt – er war eigentlich ausgebildeter Theologe, als er die Reise mit dem Forschungsschiff HMS Beagle antrat, wenn auch mit umfangreichem biologischen Wissen.
Win-win? Wie in jeder Beziehung wollen auch in den Citizen Sciences beide Seiten etwas davon haben. „Die WissenschafterInnen benötigen Daten, Ideen und Brainpower, aber auch die BürgerInnen wollen profitieren“, bringt es der Kommunikationswissenschafter Jörg Matthes auf den Punkt. In den seltensten Fällen sei dies im Übrigen das Anliegen, der Wissenschaft zu dienen, wesentlich attraktiver sei es da schon, an der Lösung eines Problems mitzuhelfen, etwa der Umweltverschmutzung. Und dann ist da noch der persönliche Nutzen. Den bemerkt Barbara Prainsack auch in der medizinischen Forschung, wo sich PatientInnen nicht nur aus Solidarität mit anderen LeidensgenossInnen oder künftigen Generationen beteiligen, sondern weil sie sich selbst bessere medizinische Versorgung erhoffen. Vor allem aber gilt: „It shouldn’t suck, es sollte nicht langweilig sein“, sagt Prainsack und verweist auf das US-amerikanische Forschungsprojekt „Old Weather“, das Gamifizierung geschickt nutzt, um alte Schiffs-Logbücher der East India Company von Laien transkribieren zu lassen und so Informationen über die Wetterverhältnisse in der Arktis aus dem 19. Jahrhundert zu gewinnen.
Wenn das Web zum digitalen Bienenstock wird. Die sozialen Medien sind der Schlüssel zur Partizipation, auf einen Klick können
Informationen viral verbreitet werden. Eines aber darf man dabei nicht vergessen: die Konkurrenz zu Unterhaltung und
Zerstreuung, die soziale Medien auch bieten.
PhenoWatch. Der 62-jährige Oberösterreicher Franz B. ist seit 20 Jahren als Citizen Scientist aktiv und sorgt im Projekt PhenoWatch dafür, dass Informationen wie etwa über den ersten Reinigungsflug der Bienen nach der Winterruhe, den Laubfall verschiedener Baumarten oder die Fruchtreife der Zwetschken aus dem Innviertel zur Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) nach Wien gelangen. „Wir brauchen diese Daten, um Klimamodelle berechnen zu können, wo lange Beobachtungszeiträume für gleichbleibende Standorte wichtig sind“, erklärt Elisabeth Koch, Alumna der Meteorologie und Leiterin der Fachabteilung Klimatologie an der ZAMG. Aus diesen Daten kann man etwa ablesen, dass der Frühling heutzutage früher beginnt und der Herbst länger dauert als im langjährigen Mittel. Stoßen die KlimaforscherInnen auf Ungereimtheiten in den Daten, wird bei den Citizens nachgefragt, das sei aber eher die Ausnahme, so Koch, zumeist seien die Daten plausibel.
"Wir haben eine App entwickelt, um die Teilnahme noch einfacher zu gestalten. Wir hoffen sehr, dass es uns dadurch gelingt, mehr Menschen zum Mitmachen zu bewegen."
Elisabeth Koch Leiterin der Fachabteilung Klimatologie an der ZAMG, Alumna der Meteorologie der Uni Wien
Seit 1851 stützt sich der Wetterdienst der Nation auf die Beteiligung der Bevölkerung, wenn es um die Beobachtung und Aufzeichnung phänologischer Daten – die Entwicklung von Pflanzen und das Verhalten von Tieren in Abhängigkeit der jahreszeitlichen Witterung – geht. Personen zu finden, die diese Beobachtungen ehrenamtlich und zuverlässig durchführen, wird für die ZAMG allerdings immer schwieriger. Nun hat man eine App entwickelt, um die Teilnahme noch einfacher zu gestalten. „Wir hoffen sehr, dass es uns dadurch gelingt, mehr Menschen zum Mitmachen zu bewegen“, sagt Koch. Zu zeitaufwendig findet Franz B. die Aufgabe auch ohne die mobile App nicht, zwei bis drei Mal im Monat tippt er die gewünschten Daten auf der Online-Plattform ein. Was ihn motiviere, das zu tun? Der persönliche Nutzen, den er als in der Landwirtschaft Tätiger von den Auswertungen habe, sagt der Citizen Scientist. Schließlich bekomme er eine Bestätigung dessen, was er selbst bei der Arbeit draußen spüre, die Zeichen des Klimawandels.
Ein Tool zum Forschen. Auch an der Universität Wien wird heftig mit Citizen Science experimentiert, besonders in den Sozial- und Geisteswissenschaften, wo es erst wenige Erfahrungen mit der Methode gibt (siehe Infokästen). Jörg Matthes lässt Jugendliche mit ihren Smartphones dokumentieren, wo sie in ihrem persönlichen Alltag auf Probleme stoßen, die von der Politik gelöst werden sollten. Je eine Woche lang teilen die SchülerInnen ihre Daten über die mobile App WhatsApp mit den WissenschafterInnen. Gepostet werden darf ausdrücklich auf allen Medienkanälen – Bilder, Videos und Texte. „Wir wollen erfahren, wie Jugendliche ihre politische Umwelt wahrnehmen, wo und wie sie sich über Politik informieren. Ihnen ein Tool in die Hand zu geben, mit dem sie online, mobil ihre Erfahrungen sammeln und mit uns teilen, ermöglicht es uns, besser an das Phänomen heranzukommen als über eine Befragung“, so Matthes. Denn während das Interesse von Jugendlichen an Politik und politischer Partizipation in den letzten Jahren laufend gesunken ist, sind sie zugleich online hochaktiv. Von den sozialen Medien erhofft man sich folglich die Lösung des Dilemmas der Politikvermittlung, mehr Leute erreichen und mobilisieren zu können.
"Wir wollen erfahren, wie Jugendliche ihre politische Umwelt wahrnehmen, wo und wie sie sich über Politik informieren. Ihnen ein Tool in die Hand zu geben, mit dem sie online, mobil ihre Erfahrungen sammeln und mit uns teilen, ermöglicht es uns, besser an das Phänomen heranzukommen als über eine Befragung."
Jörg Matthes Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien
Online (un)politisch. Dass dies bisher nicht oder nur zum Teil gelungen ist, sei in erster Linie ein Kommunikationsproblem, so Matthes. Eine Analyse von Facebook-Profilen österreichischer Nationalratsabgeordneter, die sein Team im Projekt FacePolitics gemeinsam mit SchülerInnen analysierte, war ernüchternd. Jugendliche würden kaum direkt angesprochen und die Themen, die politische AkteurInnen auf Facebook posteten, hatten nichts mit jenen Themen zu tun, die Jugendliche interessierten. Und selbst wenn es teilweise gelinge, sie zu erreichen und manche zu mobilisieren, geschehe das auf Basis extrem oberflächlicher Informationen. Die fundierte Politikvermittlung findet in den sozialen Medien nicht statt, sie wird in Österreich noch vorrangig über die klassischen Medien Fernsehen und Printmedien abgedeckt. Für Jörg Matthes Grund zur Sorge, denn: „Dadurch verliert man eine neue Generation von BürgerInnen und das birgt große Risiken für die Demokratie.“
Für die Wissenschaft ist es immer schwieriger zu erfassen, wie, wo und über welche Quellen Jugendliche mit Politik konfrontiert
werden. Im Projekt YAPES gehen deshalb Jugendliche selbst dieser Frage nach, schärfen dabei ihren politischen
Beobachtungssinn und leisten einen erheblichen Beitrag zur wissenschaftlichen Datenerhebung
Digital Divide. Dabei hat sich in Sachen Demokratie im Internet schon vieles zum Positiven verändert. War der „Digital Divide“ Anfang der 1990er-Jahre noch ein globaler Nord-Süd-Konflikt, ist der Zugang zum Internet mittlerweile anders gelagert. Heute müssen wir uns fragen, „wie sieht der Zugang zu Computern und Internet innerhalb unserer Gesellschaften aus?“, sagt die Politologin Ursula Naue, die sich in der Lehre unter anderem mit digitaler Demokratie und partizipativen Ansätzen in der Politik befasst. So würden etwa Ältere, Kranke oder Menschen mit Behinderungen das Internet längst für ihre Interessen zu nutzen wissen. Das heiße aber nicht, dass es jetzt eine breite gesellschaftliche Möglichkeit für alle gebe, sich einzubringen und auch einbringen zu wollen, gibt Naue zu bedenken. Technische, vor allem aber soziale Aspekte grenzen nach wie vor aus und machen es manchen Gruppen schwer teilzuhaben. Evaluierungen von Projekten der BürgerInnenbeteiligung in Deutschland, den sogenannten „BürgerInnenhaushalten“, haben gezeigt, dass es in erster Linie Männer sind, die sich beteiligen, um die 40 Jahre oder älter, wohlhabend und mit akademischem Abschluss. Es sei also genau das Gegenteil von dem eingetreten, was man sich von der E-Demokratie erhofft hatte, resümiert Naue. „Viele Probleme, die Partizipation betreffen, sind einfach von offline nach online mitgenommen worden.“
"Es ist genau das Gegenteil von dem eingetreten, was man sich von der E-Demokratie erhofft hat. Viele Probleme, die Partizipation betreffen, sind einfach von offline nach online mitgenommen worden."
Ursula Naue Senior Lecturer am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien
Lokales Expert/Innenwissen. Und ein weiterer, durchwegs überraschender, Aspekt fällt auf: Obwohl das Web globale Reichweite hat und unzählige Möglichkeiten böte, sich in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent politisch zu beteiligen, ist es dennoch meist die lokale Ebene, wo Beteiligung gut funktioniert. Online zu partizipieren ist vor allem dann sinnvoll, wenn man versucht, mithilfe des lokalen Wissens eine Situation zu verbessern oder zu verändern. Denn im eigenen Grätzl bekommt man als BürgerIn das Gefühl, die Beteiligung hat eine konkrete Auswirkung. Übrigens ganz wie bei vielen Citizen-Science-Projekten, wo auch oft die regionale Expertise gefragt ist.
Auch wenn der momentane Boom irgendwann wieder abflauen könnte, aufzuhalten ist die Beteiligung von BürgerInnen jedenfalls nicht mehr. Man werde aber auch erkennen müssen, dass die Methode nicht für alle Forschungsfragen gleichermaßen geeignet ist, sagt Barbara Prainsack und hofft langfristig auf den Empowerment-Effekt: „Ich würde mir wünschen, dass mehr Leute bottom-up ihre eigenen Projekte starten, sei es in der medizinischen Forschung, im Umweltschutz oder zu den Themen der sozialen Bewegungen.“ Die sozialen Medien machen es jedenfalls einfacher, UnterstützerInnen dafür zu finden und zu vernetzen. •