Siemens-Chefin Ederer:
„Ich habe Volkswirtschaft studiert, um den Kapitalismus zu bekämpfen“
In der zweiten Ausgabe der Veranstaltungsreihe „unitalks“ des Alumniverbands der Universität Wien war am Montag, dem 9. November, Brigitte Ederer zu Gast. Die ehemalige SPÖ-Politikerin und heutige Siemens-Generaldirektorin erzählte im Gespräch mit Moderator Philipp Rafelsberger über ihre Studienzeit, ihre Karriere, Niederlagen und Lernstrategien.
„Ich wollte etwas studieren, um die Gesetze der Volkswirtschaft besser zu verstehen. Ich dachte, wenn ich den Kapitalismus verstehe, kann ich ihn auch besser bekämpfen“, erinnert sich Brigitte Ederer, die schon früh in der Sozialistischen Jugend aktiv war. „Eine Berufsberaterin sagte mir zwar: Frauen, die VWL studieren, können maximal eine bessere Sekretärin werden - aber ich dachte mir: Schauen wir einmal.“ Als sie 1980 ihr VWL-Studium an der Uni Wien abschließt, damals ist Ederer 24, hat sie drei Jobangebote von Banken. Doch sie lehnt ab und beginnt in der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer Wien zu arbeiten.
Wissbegierig
Ihre Studienzeit habe sie positiv in Erinnerung, sagt Brigitte Ederer. „Ich habe nie wieder so viel Wissen aufgesogen, wie damals. Die stundenlangen Diskussionen mit Kollegen, dieses Animiertwerden, etwas zu lesen – es war eine wichtige Zeit für mich.“ Dass sie seit kurzem Präsidentin des Alumniverbands ist, sieht Ederer als Möglichkeit, „der Universität etwas zurückzugeben.“
Proteste damals und heute
Den aktuellen Unmut der Studierenden könne sie nachvollziehen: „Wir haben im österreichischen Bildungssystem eine verfahrene Situation. Es gibt einen enormen Reform- und Finanzierungsstau. Schon im Kindergarten müssten Talente besser gefördert werden.“ Auch sie selbst habe als Studentin immer wieder demonstriert: „Da war auch viel Unsinn dabei. Wir haben zum Beispiel gegen englischsprachige Übungen protestiert. Wir haben diese als unnötige Hürden im Studium empfunden.“ Wofür sie heute noch auf die Straße gehen würde? „Wenn Österreich aus der EU austreten wollen würde.“
Politik: Faszinierend und kränkend
Den EU-Beitritt Österreichs beschreibt Brigitte Ederer als den Höhepunkt ihrer Karriere. Als Staatssekretärin im Bundeskanzleramt war sie Anfang der 1990er Jahre federführend an den Beitrittsverhandlungen beteiligt. Der „Ederer-Tausender“ und das „Busserl“ des damaligen Außenministers Alois Mock sind legendär. Danach nahm sie ihre Tätigkeit als Nationalratsabgeordnete wieder auf, wurde Bundesgeschäftsführerin der SPÖ und später Finanzstadträtin in Wien.
2001 zog Brigitte Ederer einen Schlussstrich unter ihre politische Karriere und wechselte in die Privatwirtschaft. „Politik ist einer der faszinierendsten Tätigkeitsbereiche, aber gleichzeitig auch irrsinnig kränkend. Nach 17 Jahren wollte ich diese permanente öffentliche Beurteilung nicht mehr.“ Als sie das Angebot bekommt, Vorstandsmitglied bei Siemens Österreich zu werden, sagt sie sofort zu. 2005 wurde sie zur Generaldirektorin befördert, heute ist sie Chefin von rund 40.000 Mitarbeiter*innen.
Erfolgsrezept
Wenn Brigitte Ederer über ihre Karriere spricht, fallen oft die Worte „Glück“ und „Zufall“. „Mein Leben wäre komplett anders verlaufen, wenn die EU-Volksabstimmung in Österreich negativ ausgegangen wäre. Dann wäre ich heute wahrscheinlich in der fünften Ebene eines Unternehmens Buchhalterin.“ Natürlich hätten auch Fleiß und Einsatz eine Rolle gespielt, doch sie habe auch viel Glück gehabt. „Man darf nie mit aller Begierde ein Amt anstreben“, beschreibt Brigitte Ederer ihr Erfolgsrezept. „Man ist umso besser, je lockerer man ist. Es gibt einen einzigen Job, den ich wirklich gerne gehabt hätte – und den habe ich nicht bekommen.“
Neben vielen Erfolgen habe es natürlich auch Niederlagen gegeben, verrät die heute 53-Jährige: „Dabei habe ich jedes Mal einen ordentlichen Anteil gehabt, auch wenn ich das zu Beginn nie wahrhaben will.“ Beim Umgang mit Misserfolgen helfe ihr Coaching und körperliche Bewegung. „Wenn wir bei Siemens einen großen Auftrag verlieren, gehe ich ins Fitness-Center und laufe eine halbe Stunde. So bekomme ich Abstand um zu überlegen, was schief gelaufen ist.“
Lernen von Top-Absolvent*innen
„Wir laden bekannte Absolvent*innen ein, für einen Abend zurück an ihre Universität zu kommen“, beschreibt Dr. Ingeborg Sickinger, Geschäftsführerin des Alumniverbands der Universität Wien, die Idee der Veranstaltung. „Bei unitalks erlebt man beeindruckende Menschen von einer sehr persönlichen Seite und profitiert von ihren Erfahrungen und Lernstrategien.“ In einer Diskussion im Anschluss sind alle Teilnehmer*innen eingeladen, gemeinsam mit Uni-Führungskräften Ideen für die Universität der Zukunft zu entwickeln.
unitalks startete im Juni 2009 mit dem ranghöchsten Absolventen der Uni Wien: Bundespräsident Heinz Fischer, Alumnus der Rechtswissenschaft. Am 25. Jänner 2010 wird Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky („Die Fälsche“) bei unitalks zu Gast sein, der an der Universität Wien Theaterwissenschaft und Geschichte studiert hat.
Ingeborg Sickinger, Geschäftsführerin des Alumniverbands, dokumentiert die Ideen für „Die Uni, die wir uns wünschen“.
Nach dem Interviewgespräch stellte sich Brigitte Ederer den Fragen des Publikums.